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RÜCKBLICK#4



TANZ KIND KUNST

Zwischen Bewegung und Bildung


Ein Beitrag von Prof. Dr. Kirsten Winderlich




Dass Kinder so früh wie möglich Gelegenheit erhalten sollten zu tanzen,

ist unumstritten! Welches pädagogische Paradigma den Tanz dabei flankiert, wird häufigwenig differenziert. Ermöglicht eine Vermittlung von Tanz die Aneignung von Wissen und Erfahrung von anderen, initiiert eine Bildung durch Tanz ästhetische Primärerfahrungenim Zusammenspiel mit anderen?




Zeitgenössischer Tanz mit Kindern ist für mich eine Kunst, die sich zwischen Kindern und Erwachsenen entwickelt. Dabei werden ästhetische Bildungsprozesse nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei den Erwachsenen, die mit den Kindern tanzen, angestoßen.

Mit Bernhard Waldenfels verstehe ich zeitgenössischen Tanz mit Kindern als Bewegungsereignis (vgl. Waldenfels 2015, 213). Dabei greifen Kinder wie Erwachsene auf ihre Bewegungserfahrungen zurück, spielen und experimentieren mit diesen und erfinden dabei neue Bewegungen. Sie tun dieses nicht losgelöst von den Anderen bzw. nehmen die Transformation der Erfahrungen immer auch bei den jeweils anderen wahr. Zeitgenössischer Tanz mit Kindern ist demnach nichts, was Erwachsene Kindern beibringen können. Vielmehr muss dieser von den Kindern zwischen Wahrnehmung und Gestaltung entfaltet werden. Tanz ist demnach nicht losgekoppelt vom Denken und entsteht in der leiblichen Erfahrung. (vgl. ebd., 208) Kinder wie Erwachsene ›befremden‹ im zeitgenössischen Tanz ihre aus dem Alltag vertraute Beweglichkeit und damit auch ihre Lebenswelt (vgl. ebd., 234) und setzen diese in Szene. (vgl. ebd., 238) Zeitgenössischer Tanz führt vor diesem Hintergrund zu Differenzerfahrungen, und zwar nicht nur auf der Bühne im Rahmen einer Aufführung, sondern bereits während der Erkundung und des Spiels mit der eigenen Bewegung und der der anderen sowie eines erfinderischen Antwortgeschehens.





Die Bewegungsereignisse werden häufig von mimetischen Prozessen getragen.

Hierbei machen die Kinder die wahrgenommenen Bewegungen jedoch nicht nach, sondern machen sie mit. Im bloßen Nachmachen würde dasselbe noch einmal entstehen, im Mitmachen entwickelt sich jedoch in Anlehnung an Waldenfels Eigenes aus dem Fremden. (vgl. ebd., 216 f.)

Richard Sennett beschreibt diesen mimetischen Prozess auch als Proben oder Üben,

der durch Wiederholung intensiviert wird (vgl. Sennett 2012, 25 f.) und spezifiziert dasProben in Anlehnung an Alison Gopnik als Erproben von Möglichkeiten. (vgl. ebd., 28)

In diesem Sinne können Kinder im zeitgenössischen Tanz erleben, auf welche Weisensich Bewegungen transformieren lassen und damit auch ihre Perspektiven und Zugänge zur Welt, zu sich selbst und zu den anderen – und dabei erfahren, eine eigene »Stimme«zu haben.



Literatur:

1. Richard Sennett (2012): Zusammenarbeit: Was unsere Gesellschaft zusammenhält. Berlin: Hanser

2. Bernhard Waldenfels (2015): Sinne und Künste im Wechselspiel. Modi ästhetischer Erfahrung. Frankfurt a./M.:Suhrkamp, 2. Auflage








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