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Die innere Haltung in der Tanzvermittlung

Wir freuen uns sehr, dass Natalie Winkelmann, zeitgenössische Bühnentänzerin und Tanzvermittlerin aus Berlin, angeregt durch die Teilnahme an der Fachtagung BLICKPUNKT in Bremen als Impuls, ihre Gedanken über die Grundlagen ihrer Arbeit teilt. Nach über 20 Jahren in der Tanzvermittlung, besonders für 3- bis 6-Jährige, ist für Natalie neben Fachwissen und tanzkünstlerischer Erfahrung vor allem die innere Einstellung zu den Kindern, zu sich selbst und zum Tanz von Bedeutung.

Viel Spaß beim Lesen, das Tanzpunkt - Kollektiv


INNERE HALTUNG


Abgesehen von der körperlich physiologischen Haltung können wir auch von einer inneren Haltung sprechen, mit der wir den Kindern im Tanz begegnen. Sie ist mit entscheidend dafür, wie erfolgreich und erfüllend die Tanzstunden für die Tanzvermittler*in und die Teilnehmenden verlaufen. „Innere Haltung“ ist kein festgelegter Begriff. Das Dorsch Lexikon der Psychologie erklärt: „Im übertragenen Sinne bedeutet Haltung auch die innere Grundeinstellung, die das Wahrnehmen, Denken, Erleben und Handeln einer Person prägt.“ Besonders wirkt sie sich auf unser Verhalten und den Umgang mit anderen Menschen aus vor allem, wenn ein Machtgefälle vorliegt, wie es bei Kindern und Erwachsenen von Natur aus der Fall ist.



VERKÖRPERN UND VERBINDEN


In unserer Arbeit mit Kindern und vor allem mit unter 6-Jährigen ist es wesentlich, dass uns bewusst ist, dass Kinder vor allem durch Beobachtung und Nachahmung lernen, und dass unserer Vorbildfunktion hier je jünger die Kinder sind desto mehr Bedeutung zukommt. Wir tragen eine große Verantwortung und können dies gleichzeitig auch in unserem Sinne nutzen. Je mehr ich selbst verkörpere, was ich den Kindern vermitteln will, desto leichter kann dies auch gelingen. Bin ich mit mir selbst verbunden? Nehme ich mich, meinen Körper, meine Gefühle und Gedanken wahr? Bin ich präsent für das, was ich hier und jetzt erlebe, ohne zu bewerten? In der frühen Kindheit leben die Kinder noch ganz im Augenblick und agieren ihre Bedürfnisse meist spontan aus. Lasse auch ich mich auf den jetzigen Moment ein? Kann ich anstatt das Kind „zum Tanz zu erziehen“ über und durch den Tanz zu den Kindern und zu mir selbst in Beziehung und Verbindung treten?


FÜHRUNG - SELBSTREFLEXION - BEZIEHUNG AUF AUGENHÖHE


Wir Anleitenden sind die Erfahreneren mit einem Wissensvorsprung den Kindern gegenüber. Wir sind größer, stärker und die Kinder von uns abhängig. Wir haben den Überblick, tragen die Verantwortung und übernehmen deshalb liebevoll die Führung und bieten ihnen so Orientierung. Wichtig ist hier unsere Selbstreflexion, dazu gehört, unsere Rolle als

Anleitende zu beobachten und immer wieder zu hinterfragen. Auch die Frage: „Wer lernt hier von wem?“ dürfen wir uns regelmäßig und gerade in oder nach herausfordernden Momenten stellen und uns so auch als Erwachsene weiterentwickeln. Dabei begegnen wir den Kindern auf Augenhöhe. Die Grundlage für unsere Beziehung und Verbindung bilden Empathie, Respekt und Wertschätzung. Im Tanz sehen wir die Welt mit den Augen der Kinder. Wir holen sie dort ab, wo sie sind, mit dem was sie interessiert, wofür sie sich begeistern. Gleichzeitig teilen wir unsere Leidenschaft für und unsere Erfahrung im Tanz mit den Kindern.



MOTIVATION ERHALTEN - POTENZIAL ENTFALTEN


Wir schaffen und halten einen geschützten Raum, der Vertrauen und Sicherheit ermöglicht, in dem jedes Kind ohne Druck es selbst sein kann, so wie es ist und die Möglichkeit hat, sich zu erfahren, auszuprobieren und sich im Tanz auszudrücken. Sorge ich für Klarheit, Orientierung und Verlässlichkeit, können Bedürfnisse der Kinder nach Spiel und Spaß, Bewegung, Kreativität, Lernen, Forschen, sowie nach Autonomie und Zugehörigkeit erfüllt werden. Eigenständige Entwicklung und Selbstwirksamkeit können sich mit Leichtigkeit und Freude im Tanz entfalten, während wir gleichzeitig immer tiefer in Qualitäten, (Improvisations-) Techniken, Methoden und Inhalte des Tanzunterrichts eintauchen. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist der unerschütterliche Glaube an das Potenzial jedes einzelnen Menschen. Jedes Kind, jeder Mensch kann tanzen. Es liegt in unserer Verantwortung, vor allem bei den Jüngsten die Entfaltung dieser Fähigkeiten zu ermöglichen und zu unterstützen, ihre intrinsische Motivation zu erhalten und zu fördern. Dabei lohnt es sich, bewusst auf unsere Sprache zu achten und möglichst beschreibend, urteilsfrei, gender- und immer kindgerecht zu kommunizieren. Wir respektieren und feiern Vielfalt und Diversität. Wir verhalten uns so gut es geht nichtdiskriminierend, was auch adultistisches Verhalten einschließt. Mit Adultismus ist diskriminierendes Verhalten oder Machtmissbrauch von Erwachsenen gegenüber Kindern und Jugendlichen aufgrund ihres Alters gemeint. Es hilft auf Belohnung und Bestrafung zu verzichten, Freiwilligkeit zu ermöglichen und Regeln zu etablieren, die für alle, auch für Erwachsene, gelten. Die Grenzen der Kinder zu wahren bedeutet auch, uns bewusst mit dem Thema Kinderschutz auseinanderzusetzen und dies für die eigene Arbeit zu reflektieren.



DEN EIGENEN WEG FINDEN


Die Arbeit mit jungen Kindern impliziert immer ein „es kann funktionieren oder auch nicht“. Um dabei sicher zu navigieren, hilft neben der fachlichen, tanzkünstlerischen und pädagogischen Expertise, achtsam für uns selbst zu sein mit unseren Bedürfnissen, Grenzen und Absichten und gleichermaßen präsent zu sein für die Kinder mit ihren eigenen Bedürfnissen und Grenzen. So finden wir angemessene Lösungen, damit alle möglichst gute Tanzerfahrungen machen können. In schwierigen Situationen, wenn es scheinbar einfach nicht funktioniert, dürfen wir wohlwollend mit uns selbst sein. Eine überraschungsoffene Grundhaltung, Humor und spielerische Leichtigkeit lassen uns spontan und kreativ bleiben. Die Tanzstunde selbst ist jedes Mal ein Experiment, dem wir uns neugierig forschend annähern. Jeder Augenblick kann ein Neuanfang sein. Der Tanz bietet unzählige Möglichkeiten, die es zu entdecken gilt.



Wir sind auf dieser Reise nicht allein: Lasst uns miteinander austauschen, teilen und uns gegenseitig unterstützen z.B. bei den regelmäßigen Netzwerktreffen via Zoom im Rahmen der AG frühkindliche Bildung/Aktion Tanz e.V. Natalie Winkelmann

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